Fährt man mit der Straßenbahn unter den Eisenbahnbrücken Richtung Norden, fällt einem nach dem Bürogebäude der Telekom hinter der Tankstelle eine Eigenheimsiedlung auf. Ein Straßenschild vermerkt Heinrich-Mundlos-Ring. Wer war Heinrich Mundlos und was hat er mit der Neuen Neustadt zu tun?
Vor etwa 130 Jahren wurde in der Lübecker Straße 8 ein Werk gegründet, welches Nähmaschinen produzierte. Doch halten wir uns an die Betriebsgeschichte, die die deutsche Ingenieurskunst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verkörpert.
Heinrich Mundlos, geboren 1836 in Barby, ist eigentlich gelernter Schuhmacher. Wie damals üblich war er als Handwerksgeselle auf Wanderschaft. Auf dieser Walz kam er auch mit der Metall-verarbeitung in Berührung. Bei Schäffer & Budenberg eignete er sich Wissen über die Feinmechanik an.
1863 war es dann soweit, als er mit Hermann Schulz einen Handwerkbetrieb zur Herstellung von Nähmaschinen gründete. Wenig später überschritt er die Schwelle zum Industrieunternehmen unter dem Namen „Mundlos & Schulz“. Da es keinen internationalen Patentschutz gab, wurden „Singer“-Langschiffnähmaschinen nachgebaut und ständig verbessert. Auch Elemente aus der englischen „Howe“-Nähmaschine flossen in die Fertigung der Mundlos-Nähmaschinen ein.
1874 verließ Herman Schulz die Fabrik. Dafür trat 1876 der spätere Stadtrat Rudolf Arendt als Vertreter in den Betrieb ein. Mit der „Victoria-Bogenlangschiffmaschine“ ist die erste Eigenentwicklung 1882 vom Konstrukteur Heinrich Mundlos in die Produktion gegangen. Was die Nähmaschine auszeichnete, war die leichte Gängigkeit des Betriebes. Das Engagement des Rudolf Arendt als Vertreter ließ den Absatz nicht nur in Deutschland in die Höhe schnellen. Geliefert wurde nach Belgien, Frankreich, Niederlande und in die Schweiz. Arendt wurde Teilhaber und der Betrieb firmierte jetzt unter „Heinrich Mundlos und Co. Magdeburg-Neustadt“. Immer größere Werkhallen wurden ab 1884 in der Lübecker Straße 8 gebaut, da die Produktion ständig stieg. 1897 wurde das 200000. Exemplar ausgeliefert. Dementsprechend stieg auch die Zahl der Beschäftigten von 15 im Handwerksbetrieb auf 350 im Standort Neustadt, bis 1914 auf 1000 Arbeiter.

Internationale Patente schützten die Neu- und Weiterentwicklung der „Original-Victoria“ von 1896. Ständig wurden die Systeme der Nähmaschine verbessert. Es entstanden Schnellläufer, versenkbare Maschinen, Knopfloch-Nähmaschinen und anderes. 1913 wurden die Söhne Richard und Rudolf Prokuristen im väterlichen Betrieb. Die hergestellten Nähmaschinen wurden bis nach China, Japan und Südamerika ausgeliefert. Bis 1918 führte der Betrieb das Logo „Mundus“. Der Mitinhaber Rudolf Arendt verstarb im gleichen Jahr. Danach führte der Betrieb wieder den Namen „Mundlos“. Es folgten weitere Neuerungen, wie der elektrische Antrieb, die Universal-Zick-Zack-Nähmaschine und tragbare Maschinen aus Leichtmetallguss.
Die internationale Führungsrolle der Mundlos-Nähmaschine war der Firma nicht mehr zu nehmen. Zahlreiche Nachbauten kamen auf den Markt.1920 wurde der Familienbetrieb in eine Aktien-Gesellschaft umgewandelt. Heinrich Mundlos übernahm mit 83 Jahren den Vorsitz im Aufsichtsrat. 1300 Mitarbeiter hatte der Betrieb 1928, dem Todesjahr des Firmengründers. Schon im 1. Weltkrieg wurden für die Ausrüstung der Kaiserlichen Armee Seitengewehre, oder auch Bajonett genannt, aus angelieferten Einzelteilen zusammengebaut. Das Gleiche geschah in der Zeit von 1939 bis 1945 für die Wehrmacht.
Bis 1945 wurden die Fabrikhallen der Nähmaschinenfabrik durch Bombenangriffe auf Magdeburg und die Neustadt in Mitleidenschaft gezogen und teilzerstört, auch die Villa Mundlos erhielt einen Bombentreffer. Familie Mundlos bekam in der Bürgelstraße, Ecke Schleinufer eine Wohnung. Auch das Geschäft in der Otto-von-Guericke Straße wurde am 16. Januar 1945 zerstört. Nach 1945 wurde ein kleines Geschäft im Breiten Weg betrieben.
Aus den zerstörten Werkhallen wurden die verbliebenen Maschinen als Reparationsleistungen abgebaut und in die Sowjetunion transportiert. Die teilzerstörten Hallen wurden wiederaufgebaut und die VEB Möbelwerke hielten Einzug bis zur Wendezeit, aber das ist schon wieder eine andere Geschichte. Die Produktionshallen wurden in den 1990iger Jahren abgerissen. Ein Pflegeheim entstand und die Eigenheimsiedlung Heinrich-Mundlos-Ring.
Einziges „Überbleibsel“ der Nähmaschinenfabrik ist das Trafohaus und gegenüber die Villa Rudolf Arendt. Die Mundlos-Villa befand sich zwischen dieser Villa und dem jetzigen Pflegeheim.
Quelle: Brüning
Dieser Artikel ist ein Auszug aus der 18. Ausgabe des NEUSTADTgeflüsters. Um weitere Artikel zu lesen, klicken Sie bitte auf den folgenden Link:
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