Die Wilhelma

Wilhelma“ in der Neustadt? – werden Einige fragen – kenne ich nicht. Die Frage ist berechtigt, verschwand sie doch 1952 endgültig aus dem Straßenbild der Neuen Neustadt. Das ist lange her, doch es gibt auch einen Anfang der vor dem 2. Weltkrieg beliebten Gaststätte.

Nach 1800 befanden sich zwischen der Eisenbahn und der Mittagstraße links und rechts Steinbrüche für die Gewinnung von Baumaterial auch für die Neustadt. Nördlich eines dieser Steinbrüche siedelte sich 1843 die Brauerei Wernicke an und entwickelte sich zu einem großen Bierproduzenten. Das Wasser für die Herstellung des Bieres entnahm man dem Faber´schen Steinbruch an der damaligen Wolmirstedter Chaussee rechts gelegen (heute: Lübecker Straße), indem man von der Sohle noch tiefer bohrte und einen Brunnen erzielte, der das Wasser von allein bis in die Brauerei drückte. Außerdem wurde ein Felsenkeller zur Einlagerung und Kühlung des Bieres hergestellt. Der Grund des Steinbruches füllte sich langsam mit Grundwasser und es entstand ein See. Der Steinbruch war eine Sehenswürdigkeit hinter der Maske einer romantischen Gebirgslandschaft. Steile Serpentinwege führten bis an den See hinunter, der sich mit einem Schwanenhäuschen und seinen gefiederten Bewohnern, schmückte. Ein Ruderbootverleih durfte nicht fehlen. Auch einen Tunnel gab es in den „Steilwänden“, wo bestimmt manch erste Zärtlichkeit ausgetauscht wurde. Am Grunde des Steinbruches, am See, sangen Männerchöre und man erfreute sich des Echos.

Sammlung R. Triebe

Bereits 1844 entstand auf Straßenniveau ein zweigeschossiges Gebäude, später Bierhalle genannt. Dieser Ausschank auf damals noch unbebauten Gelände wurde möglich, weil die Neustadt und auch das Stadtgebiet von Magdeburg durch die beginnende Industrialisierung ein Bevölkerungszuwachs abzeichnete. (1834: 6.139 Ew., 1849: 10.021 Ew., 1867: 17.288 Ew.). Bis zu den Steinbrüchen reichten die Festungs-Rayonbeschränkungen und das Gelände zwischen heute Hasselbachbrunnen am Haydnplatz und der Brauerei Wernicke (ehemals Diamant-Brauerei) durfte nicht bebaut werden.

Etwa 1873 wird zwischen der Lübecker Straße und dem Steinbruch ein neues Restaurationsgebäude errichtet und ständig weiter ausgebaut und vergrößert. Mit dem Ausbau entstanden: 1 Hauptsaal mit Bühnenanbau, 2 Nebensäle im Erdgeschoß. Im Obergeschoß entstanden 2 Nebensäle, 1 Galerie mit 15 Bogen und Orchesterloge, 1 Nebensaal mit offenem Balkon, insgesamt 1400 Personen fassend. Der Konzertgarten umfasste das Kaffeesaalgebäude, Musikhalle und Veranda. Außerdem gab es noch einen großen Sommersaal. Aus alten Dokumenten ist zu entnehmen, dass insgesamt 5000 Personen Platz finden konnten. Am Ende des 19. Jahrhunderts ist die „Neustädter Bierhalle“ ein modernes Tanz- und Gesellschaftslokal, das sich nun „Wilhelma“ nennt. Laufend werden weitere Modernisierungen durchgeführt.

 In den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts wurden auch politische Veranstaltungen durchgeführt, wie vom Deutschen Holzarbeiterverband 1928, ebenfalls 1928 der Deutsche Baugewerksbund und der Verband „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“, um nur einige anzuführen. Konzerte, Tanzvergnügen und Gesellschaftsbälle fanden in der Wilhelma regelmäßig statt. In den Sommermonaten gab es Gartenkonzerte und im Winter Bockbierfest und Maskenbälle.

Am 16. Januar 1945 brannte die „Neustädter Wilhelma“ aus. Das Saalgebäude ist stark in  Mitleidenschaft gezogen worden. Erhalten geblieben ist nur die Eingangshalle. Schon am 20.07.1945 wird ein Bauantrag zum Ausbau eines Speiselokals und Notwohnungen in der Eingangshalle gestellt. Am 23.10.1945 erhielt Anni Müller eine Schankerlaubnis. Es wurde eine beliebte Speisegaststätte und auch Tanzveranstaltungen wurden durchgeführt. Am 25.07.1952 schloss die Gaststätte dann für immer.

In der Neue Neustadt lagen nach dem 2. Weltkrieg teilweise ganze Straßenzüge, vor allem um die Morgenstraße in Trümmern. Die Flächen mussten beräumt werden und so zogen sich Trümmerbahnschienen durch die Straßen der Neuen Neustadt. Die Gleise endeten am Steinbruch der Wilhelma. Der Trümmerschutt füllte den gesamten Steinbruch aus. Ein Teil der Geschichte der Neuen Neustadt verschwand damit für immer. Heute findet man auf dem Gelände Gewerbe und Verkaufseinrichtungen.

Neues wurde gebaut, ob es immer schöner aussieht ist zu bezweifeln. Aber Plumpsklo auf dem Hof, oder Toilette im Treppenhaus eine halbe Treppe tiefer für mehrere Familien ist nicht mehr zeitgemäß, und wer kann sich das heute noch vorstellen. Es ist eben alles nur Geschichte.

Quelle: Brüning

Dieser Artikel ist ein Auszug aus der 16. Ausgabe des NEUSTADTgeflüsters. Um weitere Artikel zu lesen, klicken Sie bitte auf den folgenden Link:

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